Gehört das Zuhören zu Deinen Gaben?
Dann kennst Du möglicherweise das Phänomen, dass Menschen in Deiner Gegenwart reden und reden, erzählen und erzählen und Du kaum ganze Sätze loswirst.
Bei mir war es bereits lange bevor ich Coach wurde präsent und ist noch heute ein Teil meiner täglichen Erlebenswelt. Während im öffentlich Schriftlichen ich diejenige bin, die nach außen tritt, erzählt und berichtet (die Einen schreiben Bücher, andere lesen sie), ist es bei persönlichen privaten Begegnungen meist andersherum. Da glänze ich im Zuhören.
Dabei spielt es keine Rolle, ob ich bei einem Arzt sitze, bei einem Rechtsanwalt, in der Bank oder auf den Bus warte. Lange Zeit fragte ich mich, wieso zum Geier mir offenbar niemand richtig zuhört. Schriftlich wurde und werde ich gelesen. Das weiß ich von vielen. Aber in Gesprächen ist das meistens anders. Mir wird das immer erst wieder dann so richtig bewusst, wenn ich einer seltenen Ausnahme begegne und mich selbst plötzlich ungewohnt viel zu erzählen bemerke.
Manchmal ist es sogar so, dass in jenen Momenten, in denen tatsächlich einmal ich überraschend gefragt bin, ins Verhaspeln komme und in Stress gerate (keine Redeangst vor Gruppen mehr, ich habe viele Gruppen geleitet, das meine ich nicht). Dies wiederum führt offenbar zu einer derart hohen Stimme, dass sich mein jeweiliges Gegenüber dann auch gestresst, mitunter angemotzt und unangenehm fühlt. Das ist insofern ein wenig anstrengend, weil ich es selbst nicht bemerke. Möglicherweise liegt es daran, dass ich mit einem schwerhörigen Bruder aufgewachsen bin. Aber dies soll an dieser Stelle keine Hauptrolle bekommen. Ich erwähne solche Dinge nur gern, weil viel zu wenig Menschen ihre eigenen „Eigenarten“ als normal wahrnehmen. Auf diese Weise zeige ich, dass es in Ordnung ist, nicht perfekt zu sein. Denn was genau wäre es auch, dieses „perfekt“?
Zurück zum Thema:
Bedeutet Zuhören gleich zurückstecken?
Unabhängig von meiner Wirkung wenn ich denn mal selbst erzähle, reden in meiner Gegenwart besonders viele Menschen besonders viel. Häufig mit einem Redeanteil von 80/20 und noch stärker.
Auch innerhalb schriftlichen Austausches geschieht dies häufig. Es gibt Menschen, die selbst nach dem 10. Kontakt noch immer ausschließlich von sich selbst sprechen und gar nicht bemerken, was bei mir alles los ist (und das ist als Mehrfachmama und Multiselbständige inmitten dieser Zeiten sehr komplex).
Natürlich könnte ich mich jetzt runterziehen (und glaube mir, zeitweise geschah dies) und mich fragen, was an mir denn nicht richtig ist, weil es die Anderen nun mal nicht zu interessieren scheint, was ich zu sagen habe oder wie es mir geht. Sicherlich kennst Du solche selten fröhlicher stimmenden Gedankenspiralen.
Aber weißt Du was ich abgesehen von der negativen Grundstimmung mir damit nehme?
Die Erkenntnis, dass andere Menschen mir so weit vertrauen, DASS sie MIR ihr Innenleben offenbaren. Dass sie in meiner Gegenwart wachsen, weil sie so sein dürfen, wie sie sind. Dass sie sich bei und von mir gehört und verstanden fühlen.
Wenn das bei Dir ähnlich ist, dann hast Du eine Gabe, die in der heutigen Zeit wichtiger ist denn je!
Ich für meinen Teil habe zudem irgendwann einmal festgestellt, dass – wenn ich ganz ehrlich mit mir selbst bin – ich gar nicht so gern von mir selbst erzähle. Und dies keineswegs mangels Selbstvertrauen. Ich bin Steinbock, einen höheren Blick gibt es einfach nicht, haha :-).
Die Menschen bei denen ich es gern tue, die hören mir übrigens zu. Und dann schaffe ich natürlich auch mal den einen oder anderen Roman :-). Vieles bewerten wir selbst nämlich kritischer und einseitiger als es in der Realität tatsächlich ist.
Wenn Du darunter leidest, nicht gehört zu werden
Natürlich verhält sich das ganze Thema vollkommen anders, wenn es Dir Kummer bereitet und zu Konflikten führt.
Hier wären pauschale Tipps unangebracht, weil die Hintergründe meist mehrdimensional sind. Es kann mit unbearbeiteten Urwunden unserer Kindheit zu tun haben, oft auch mit mangelndem Selbstbewusstsein. Möglicherweise fehlt Dir die Möglichkeit, Dich klar abzugrenzen und Deine Bedürfnisse zu äußern.
Manchmal liegt es am Selbstbild-/Fremdbildgefüge. Weil das was wir selbst wahrnehmen, Außenstehende vollkommen anders beschreiben würden.
Das eigene Umfeld kann zuweilen ungünstig auf uns wirken. Die vielen Selbstansprüche unseres Egos und un- oder falschgelernte Kommunikationsmuster.
Heute ist der Begriff der toxischen Persönlichkeiten und Narzissten ein wenig in Mode. Ja, die gibt’s. Immer aber auch jemanden, der es zulässt. Hier kommen Topf und Deckel meist beide auf ihre Kosten.
Von all dem abgesehen wäre zu beleuchten, inwieweit die eigene Ausprägung der 16 RMP-Lebensmotive eine Rolle beim Zuhören spielen. Beispielsweise könnte eine geringe Familien- und Beziehungsausprägung dafür sprechen, dass jemand nicht zu den geselligen Menschen gehört und Austausch als unangenehm empfindet. Ein hohes Neugier-, aber auch ein hohes Anerkennungsmotiv kann dafür sprechen, dass jemand mehr zuhört als andere.
Wie Du siehst, sind Ursachen und Zusammenhänge sehr verwoben.
Wichtig ist einzig und allein, wie Du Dich dabei fühlst. Kannst Du das Zuhören als Deine Gabe annehmen und genießen oder gibt es etwas, das Dir dabei unangenehm ist?
Herzliche Grüße aus dem zauberhaften Chiemgau
Tanja
Textquelle & Copyright: Tanja. Trotzdem
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Dieser Artikel wurde schon am 12. April 2021 auf einer meiner alten Seiten veröffentlicht.
Tanja Schillmaier ist Autorin und systemische Coachin mit einer Leidenschaft für hilfreiche psychologische Methoden, die sie in ihren Büchern mit tiefen persönlichen Einsichten kombiniert. Sie unterstützt ihre Leser darin, Herausforderungen des Alltags zu meistern, indem sie komplexe Themen auf verständliche Weise vermittelt und Werkzeuge zur Selbstreflexion bietet. Mit ihrer eigenen wachsenden Powerquickie-Buchreihe und weiteren Ratgebern, wie dem Buch ‚Zuckerteufel – Glücklich leben trotz ADHS‘, schafft sie inspirierende Ressourcen für Menschen, die Probleme zu bewältigen haben und nach mehr Leichtigkeit und Balance suchen.
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