Allerorts ist vom Schutz von Minderheiten und vor Ausgrenzung die Rede (natürlich richtig!) und wir befassen uns mit mehr Gendern als uns meist lieb ist.
Aber der Schulsport erhält wenig Aufmerksamkeit. So wichtig und bedeutsam er für Kinder auch ist, ist er faktisch trotzdem rein auf die sportlich Starken ausgelegt.
Er ist noch immer die gleiche abwertende Blamage, die er schon zu meiner Zeit war. Die Hölle, die ein Kind mehrmals die Woche erlebt, das sich absolut fremd und fehl am Platz fühlt, während es vor der ganzen Klasse Dinge vorführen soll, die es nicht kann.
Was ist damit, liebes deutsches Land der Verachtungen??
Wieso gilt Mobbing nur auf der Betrachtungsseite zwischen Kindern und erwachsenen Arbeitskreisen, während sich Lehrer offenbar alles erlauben können?
Warum wird der Unterricht nicht stärkenbasiert aufgebaut, so dass jedes Kind die Chance erhält, sich in einer Art und Weise zu bewegen, die ihm zumindest entspricht? Das wäre ein stärkendes Mittel, Freude und Begeisterung an Bewegung zu erzielen. Anstelle dieser altehrwürdigen Schikane aus Peinlichkeiten und dem steten Gefühl, sich absolut lächerlich zu machen.
Nachtrag Teil II:
Königsblamage Bundesjugendspiele
Insbesondere die alljährlichen Bundesjugendspiele toppen das Thema auf die Spitze. Dieses rein nach dem Leistungs- und Gewinnprinzip ausgerichtete Kräftemessen ist für sportlich schwache Schüler eine doppelte Qual. Nicht nur dass sie hier ihre Unfähigkeiten schwarz auf weiß bekommen, blamieren sie sich nicht nur vor der eigenen Klasse (deren Mitschüler eh schon wie üblich grinsen oder genervt die Augen verdrehen), sondern vor vielen anderen Schülern auch noch.
„Na dann nimm‘ Dein Kind doch raus und melde es für diesen Tag krank.“
Gesagt, getan. Und was kam dann? Die Mitteilung, dass dieser Tag vor den Ferien stattfindet und deshalb nicht ohne ärztliches Attest entschuldbar sei. Nun gut, was tut man nicht gegen den Schmerz der eigenen Kinder?!
Doch – Ihr ahnt es vielleicht schon – ist das Thema damit auch im neuen Schuljahr noch nicht ausgestanden (mit dem Termin alljährlich wieder vor den Ferien). Du wirst beim Arzt schief angesehen oder führst etwas seltsam anmutende telefonische Vorgespräche, bei denen du behandelt wird, als hättest du nicht alle Sporttassen im Schrank.
„Also ich glaube nicht, dass Sie Ihrem Kind einen Gefallen damit tun. So etwas hatten wir ja noch nie.“
„Aha und wo liegt das Problem?“
„Sie können Ihr Kind doch nicht vor jeder Schwierigkeit bewahren. Es wird ja gar nicht fähig, sein Leben zu bestehen! Also da muss ich mich jetzt erst einmal schlau machen, weiß nicht ob das so einfach geht. Da könnte ja jeder kommen.“
Das sind dann die Momente, in denen ich völlig ausflippen könnte. Die fremde Person am anderen Ende der Leitung hat keine Ahnung davon, wie ich meine Kinder erziehe, welchen Situationen ich sie aussetze, damit sie sehr wohl ein selbstbestimmtes, kraftvolles und glückliches Leben führen können. Dass ich sie im Gegenteil stets zu Bewegung animiere und motiviere, damit sie später eben nicht meine gesundheitlichen Schwierigkeiten bekommen. Aber es ist der Klassiker. Schublade auf, Urteil gefällt und verloren. Jetzt schon klar, wie man mich ansehen wird, wenn wir persönlich erscheinen und die Ärztin gar nicht weiß, dass ich mein Übergewicht seit ner Gallen-OP trotz 3x Sport pro Woche und nur 2 Mahlzeiten täglich nicht in den Griff bekomme.
Zum Spruch „da könnte jeder kommen“:
Die anderen Mitschüler meines Sohnes reißen sich um diesen Tag, weil sie den Sport lieben. Solche Kinder würden im Traum nicht darauf kommen, ihn zu schwänzen. Insbesondere solche mit hohem Wettbewerbsmotiv nicht. Für diese ist es eine super Gelegenheit, sich mit anderen zu messen und definitiv stärkend für den Charakter. Doch für alle anderen MINDERHEITEN eine reine Systemschikane. Was solche Erfahrungen mit einem Kind psychisch machen, interessiert keine alte Sau. Denn da gilt die Haltung des „stell dich halt mal nicht so an“.
Das wäre in etwa genau so, als wenn mein Sohn bestimmte Mitschüler auslachen würde, weil sie langsamer denken. Und beim Elterngespräch dann meine Antwort wäre: „Sie wissen aber schon, was für einen unselbständigen Idioten Sie da heranziehen?“
Wann werden wir es in diesem Land endlich einmal schaffen, Menschen nicht mehr mit Gewalt in Normen zu pressen, sondern stattdessen individuell zu fördern?
Natürlich brauchen Kinder Sport und Bewegung. Aber kann er denn nicht wenigstens thematisch ein bisschen besser nach Typen gegliedert werden? Beispielsweise Fahrrad und Yoga als Alternativen zur Verfügung stehen? So könnten die Fußballer weiter fröhlich kicken, die Athleten stolz über Böcke und Balken springen und alle weniger geschickten Kinder gemeinsam eine eigene Sportklasse mit anderen Schwerpunkten belegen, weil es personaltechnisch natürlich komplizierter würde.
Lösungen wären dort zu finden, wo das Interesse eine Wahrnehmung erhielte.
Nachtrag:
Mittlerweile kam der ärztliche Rückruf inkl. Verweigerung:
„nach Rücksprache mit Dr. … können wir Ihrem Sohn dieses Attest nicht ausstellen. Wir sind beide der Meinung, dass Sie Ihrem Kind damit keinen Gefallen tun.“ Keinerlei Interesse an meinen Schilderungen, wurde ich behandelt wie der letzte Vollidiot. Das sind dann die Momente, in denen mir nichts mehr einfällt und ich irgendwann auflege (Stresstyp: Flucht).
Nun muss mein Sohn dorthin und hat eine schlimmere Hölle zu durchleben als ich damals. Denn im Gegensatz zu mir, wird von ihm als Jungen noch wesentlich mehr an Sportlichkeit erwartet. Klar wird er das packen. Denn Gott sei dank habe ich sehr starke Kinder. Menschen die uns kennen (jenseits von Gerüchteküchen und Märchen!), bewundern genau das. Für mich ist es ein weiteres Zeichen dessen, was in diesem Land zunehmend schief läuft. Uns Eltern werden immer mehr Entscheidungskompetenzen aberkannt, während wir bitteschön jedoch alle Systemfehler auszubaden haben.
Textquelle & Copyright: Tanja. Trotzdem – Teilen gern, wenn Du unsere Welt auch gern aktiv umgestalten möchtest. Bildquelle: Pixabay Ballspiel – Gymnastik
Tanja Schillmaier ist Autorin und systemische Coachin mit einer Leidenschaft für hilfreiche psychologische Methoden, die sie in ihren Büchern mit tiefen persönlichen Einsichten kombiniert. Sie unterstützt ihre Leser darin, Herausforderungen des Alltags zu meistern, indem sie komplexe Themen auf verständliche Weise vermittelt und Werkzeuge zur Selbstreflexion bietet. Mit ihrer eigenen wachsenden Powerquickie-Buchreihe und weiteren Ratgebern, wie dem Buch ‚Zuckerteufel – Glücklich leben trotz ADHS‘, schafft sie inspirierende Ressourcen für Menschen, die Probleme zu bewältigen haben und nach mehr Leichtigkeit und Balance suchen.
Dem kann ich nur zustimmen. Ich bin selbst Schülerin und habe so meine Probleme mit dem Sport, was einen anderen Hintergrund hat. Jetzt sollen wir als Schulnote vor der ganzen Klasse ein Workout vorführen und wer keine Kraft in den Armen hat und „zusammenbricht“ bekommt dann eben eine schlechtere Note als die „Spitzensportler“ die alle 10 Liegestütze hinbekommen… einfach nur traurig.
Guten Morgen meine Liebe,
das ist schon hart. Ich finde es in Ordnung, wenn sich gute Sportler untereinander messen können. Aber alle anderen sollten meiner Meinung nach die Chance haben, selbst auszuwählen, ob sie diese Art von Leistungsmessung – auch das Vormachen vor allen Anderen – mitmachen.
Ich drücke dir die Daumen, dass du diese Herausforderung gut gelöst bekommst (auf welche Weise auch immer). Deinem Schreibstil nach, schätze ich dich als starken Charakter ;-). Manche wissen das von sich selbst ja noch gar nicht; deshalb hatte ich das Bedürfnis diese Vermutung zu äußern :o).
Lieben Dank für den persönlichen Einblick und ein wunderschönes Wochenende.
Tanja