Wut – Hinter dem Schrecken eines Dämons!
Als wie süß würdest Du Dein Leben einem Fremden beschreiben? Auf einer Skala von 0 – „ziemlich ernst“ bis 10 – „viel Freude in meinem Alltag“.
Sieht man Dir die (fehlende) Süße inform alternativer Wonnekügelchen auf der Hüfte an? Was ich damit meine, erschließt sich noch im Laufe des Beitrags.
Inwiefern hast Du Dein Leben äußerlichen Normen und Erwartungshaltungen angepasst? Gestehst Du es Dir zu, auch einmal traurig oder wütend zu sein? Ich meine nicht, innerhalb Deiner Familie, sondern innerhalb Deines ganzes Umfeldes.
Gibt es Tage oder bestimmte Orte in Deinem Leben, an denen Du es Dir erlaubst auch manchmal VOLL-UMFÄNGL-ICH (!) Du selbst, also VOLLER (!) Wut oder gar kindlich zu sein?
Wie reagierst Du innerlich auf diese Frage?
Tust Du es, hältst Du es für einen überlegenswerten Denkansatz oder sträubt sich gerade alles gegen einen solchen Schmarrn?
Selbst aus mancherlei Denkschule psychologischer Herkunft wird ja gern recht transaktional das „Kindheits-Ich“ als unbearbeitetes Überbleibsel in seine versäumten Erziehungsschranken zurück verwiesen (oft mit berechtigtem Hintergrund, manchmal jedoch meines Erachtens zu pauschal).
Ich möchte ganz ehrlich sein (und betonen, dass meine Beschreibung nicht automatisch zu Deiner Erkenntnis werden muss). Mir ging es früher immer so, dass meine innere Rationalistin Aussagen wie „lebe das Kind in Dir“ als Pillepalle abtat.
Wut im Einklang mit der Gesellschaft
„So ein Quatsch“, dachte ich. „Das ist doch wieder nur irgend so ein Blödsinn von der kindsköpfigen Fraktion, die nicht gelernt haben, den Ernst des Lebens zu erkennen. Völlig jenseits der Realität. Wo würden wir denn hinkommen, wenn alle Menschen so drauf wären? Was würden denn die Leute von mir denken, wenn…“,
„Wie käme es bei meinen Firmenkunden an, wenn …“ … .
Ja, was wäre eigentlich wenn?
Wenn die Menschen damit beginnen würden, ab und an total verrückte Sachen zu machen?
Was würde schlimmstenfalls passieren?
Ich frage mich, ob die rationelle Denkhaltung zwei kriegerischen Gegnern besonders nützlich ist oder nicht möglicherweise manchmal der Spaß, die Unbefangenheit und kindliche Freude eines Menschen zielführender sind.
Mich hat es vor einigen Monaten sehr erschreckt, als ich mit meinen Kindern ausgelassen im Wohnzimmer tanzte und feststellte, wie viele Jahre ich das schon nicht mehr getan hatte.
Ich hatte mit der Zeit so viele „Do’s and dont’s“ unserer Gesellschaft verinnerlicht, dass ich selbst noch als Coach ständig darauf bedacht war, nicht aus dem Rahmen zu fallen. Immer schön brav sein, dies nicht, das nicht, jenes schon gleich dreimal nicht.
Meine Wut nach außen kommunizieren? Auweia, sowas macht „man“ nicht. Tat ich es doch manchmal, weil ich meine Berliner Brummelschnauze halt auch nicht immer in den Bayernkäfig sperren konnte, schämte sich mein damaliger Partner in Grund und Boden und ließ mich überdeutlich wissen, dass dieser Vogel zu Unrecht piepte.
In einem meiner Selbsterfahrungsprozesse (die wir als Coach durchlaufen müssen) merkte ich eher nebenbei, wie sehr ich auf das Wort Verbissenheit reagierte. Es war, als wenn da etwas ganz vorsichtig um die Ecke in den Spiegel schaute.
Eine ganz zarte Stimme in mir wagte den Gedanken, ob ich möglicherweise nicht auch ein wenig zu verbissen sein könnte?
Prompt viel mir im Umgang mit meinen Kindern auf, wie starr und wenig flexibel ich meine gezogenen Grenzen mit ihnen umsetzte.
Wann hatte ich es denn überhaupt je gewagt, völlig losgelöst und ausgelassen zu sein? Ich hatte dem Steinbock in mir stets alle Ehre bereitet, war in der Öffentlichkeit die wortwörtliche Selbstbeherrschung. Nie hätte ich es gewagt, meine Gefühle zu zeigen. Das ginge als Coach ja nun mal auch gar nicht.
Nach und nach fühlte sich das für mich immer falscher, immer unnahbarer, illusorischer an. War es wirklich so falsch, auf allen Ebenen meiner Existenz die stete Kontrolle zu zeigen, Worte wie Stress und Wut zu meiden, wie der Teufel den Spiegel?
Gelebte Wut versus Normfacette
Ich wagte ein Experiment. Ich schrieb in einem Facebook-Post „öffentlich“ als ich einmal wieder tatsächlich wütend war.
Eine besonders delikate Form der Selbsterfahrung :-).
Interessanterweise reagierten mehr private Kontakte total verständnisvoll, fast dankbar, das ich einmal auch diese Seite gezeigt hatte, als die beruflichen.
Einige begannen offen oder per PN an mir „herumzudoktern“, die Wut und deren Herkunft zu deuten und mir Vermutungen darüber überzustülpen, woran ich noch „arbeiten“ müsse.
Ich frage mich, in wie vielen Ausbildungen tatsächlich eigene Glaubenssatzarbeit und Selbstreflexion über alle Theorien hinaus auf dem echten Übungsprogramm stehen.
Seit dieser Erfahrung achtete ich noch bewusster auf den Umgang der Menschen (und auch mir selbst) auf offen ausgedrückte Empfindungen. Dabei stellte ich fest, dass es in unserer Gesellschaft einfach nicht geduldet wird, seine Gefühle offen zu zeigen.
Selbst ich neigte dazu, allzu heftige Wutausbrüche meiner Kinder in ihrem Geräuschausmaß einzubremsen.
Für mein Empfinden jedoch noch häufiger, wird heutzutage im Umgang mit Kindern aber eher die sehr gewährende Erziehungshaltung als Wunschnorm gepredigt. Mir erweckt es manchmal den Eindruck, dass Streitereien zwischen Eltern und Schimpfen mit einem Kind bereits zu angedichteten Traumatas führen, deren weitere Entwicklung noch spannend sein dürfte.
Sehr interessant, was mir Arbeitgeber über heutige Azubis berichten!
Früher gab es die Unterscheidung zwischen Temperament und Wahnsinn. Nach unserer heutigen Norm müsste man ganz Italien in eine Gummizelle stecken!
Mir ist jedoch nicht bekannt, dass Italiener einen besonders häufigen Therapiebedarf wegen ihres bekanntermaßen stärkeren Temperaments hätten.
Wohin führt das alles?
Dass immer mehr Menschen alle Regungen in sich runter schlucken, sich nicht mehr als gesellschaftsfähig einordnen (siehe dazu auch mein Artikel „Rücktritte schaden unserer Gesellschaft„) und sich immer mehr zurückziehen.
Sie fühlen sich fehl am Platz, unwichtig und manche von ihnen werden nicht ausschließlich, aber auch nicht zuletzt deswegen übergeWICHTIG!
Wir verhalten uns und werden sprichwörtlich alle immer steifer und starrer in der Wahrnehmung von Menschen, bedienen immer mehr Schubladen und übersehen die bunte Kommode.
Aus diesem Grund möchte ich Dich anregen, Dir ruhig auch mal „den totalen Quatsch“ zuzugestehen. Wenn Du den Drang hast, etwas zu tun, dann hat der Drang in der Regel einen Grund. Teste doch mal aus, ihn zuzulassen. Du brauchst deshalb nicht anfangen mit pinken Auto-Wimpern durch die Gegend zu fahren, wie ich damals, um den Menschen Mut zu machen und ein spontanes Lächeln aus ihnen zu zaubern. Das war mein Ding (bis die Waschanlage diese Freude jäh stoppte).
Aber was genau ist „Dein Ding“?
Du brauchst nicht extrovertiert zu handeln, wenn Du ein stiller Typ bist, genauso wenig Deine Wut rauszubrüllen, wenn es Dir anders viel besser bekommt. Aber möglicherweise genauso wenig runterzuschlucken, bloß weil es „die Gesellschaft“ von Dir erwartet.
Klar, bestimmte Reaktionen könnten in Deinem Umfeld unangebracht sein, weil nur wenige so weit sein werden wie Du selbst oder sich zumindest nicht im Detail mit Deinen Hintergründen befassen können und damit gilt es dann doch wieder, sich innerhalb einer Grundnorm anzugleichen.
Oder?
Es gibt hier kein „a oder b ist richtig“. Ich möchte Dich nur anregen, darüber nachzudenken und zumindest jene Dinge in Frage zu stellen, bei denen Du merkst, dass sie DIR nicht gut tun.
Wenn Du ein temperamentvoller Typus bist, ist dies in Ordnung und niemand hat das Recht, Dein Verhalten zu kritisieren*.
Wo kannst Du Dich in Deinem Rahmen frei entfalten, einfach mal vollkommen irre, doof, irrationell, verspielt, verrückt sein?
Zum Beispiel im Wohnzimmer versuchen in allen Tierarten zu tanzen?
Einem „Warum“-Kind keine Antwort im Erwachsenenmodus geben, sondern innerhalb seiner Fantasiewelt vielleicht.
Vogelwild auf ein Papier kritzeln, durch Pfützen stampfen, im strömenden Regen spazieren gehen, auf dem Trambolin eines Kindes schlafen, wildfremden Menschen eine nette Botschaft an die Autoscheibe pinnen … . Dir fällt bestimmt etwas ein, das für Dich und Deinen aktuellen Mutfaktor gerade total passt.
Gefühle freie Fahrt voraus
Was passiert mit Deinen Gefühlen, wenn Du sie tatsächlich einfach nur zulässt? Ohne Bewertung.
Möglicherweise brauchst Du dann gar keine gesonderten Kanäle wie die früher empfohlenen Boxsäcke mehr.
Wut – kraftvolles Entspannungsventil
Wenn doch, dann lass Dir Deine Wut (oder welches andere Gefühl auch immer) nicht kleiner reden, als es in Dir vorhanden ist und suche Dir Möglichkeiten des Ausdrucks. Was hast Du als Kind getan, wenn Du wütend oder traurig warst? Gibt es irgendetwas, das Dir heute genauso Ventil sein könnte?
Wenn Du es für richtig hältst, dann steh‘ zu Dir und Deinen Gefühlen. Das wird ganz viel Süße in Dein Leben (zurück) bringen oder diese vermehren, quasi die Sahne in der Zuckersuppe. Davon bin ich überzeugt! Dann braucht Dein Körper nicht auf andere Art darum betteln, beachtet zu werden.
Erst wenn Du merkst, dass Streitereien und Gefühlsausbrüche Dir und Deinem Umfeld gar nicht mehr gut tun, wenn automatisierte Selbstläuferprogramme ablaufen, die Dir schaden, dann kann ein Coach hilfreich für Dich sein.
Wenn unbearbeitete Traumen in Dir stecken oder jemand anders durch Dein Verhalten zu Schaden kommt, weil Deine Wut oder andere Gefühle zu Gewalt werden, dann ist ein Therapeut hilfreich. Es ist weder unmenschlich, noch verwerflich Fehler zu machen. Nur diese zu ignorieren.
*Tabuthema häusliche Gewalt
Was ist nun aber, wenn das Thema Wut übers Ziel hinaus schießt und sich in Gewalt ausdrückt?
Dies kommt hinter geschlossenen Türen leider häufiger vor, als den meisten Menschen bewusst.
In diesem Fall lies gern auch den Artikel „Häusliche Gewalt und Angst hinter verschlossenen Türen„.
Höre auf Deinen Bauch und denk‘ dran: Du hast mehr drauf als fremde Erwartungen!
MUTivierende Musengrüße von Deinem Coach aus dem Chiemgau
Tanja
PS: Wie gehst Du mit Deiner Wut um? Beschreib mir gern Deine Empfindungen in den Kommentaren. Wenn Dir der Artikel gefällt, würde mich Dein Like oder Teilen riesig freuen! Denn damit unterstützt Du meine Arbeit und vielleicht den einen oder anderen Deiner Kontakte. Für die meisten Menschen ist es sehr befreiend, eigene Bedürfnisse unterstützt mit neuen Augen wahrzunehmen.
Textquelle & Copyright: Tanja. Trotzdem
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Bildquelle: Pixabay Wütende Frau: anger-18658_640
Dieser Artikel wurde schon am 8. Oktober 2015 auf einer meiner alten Seiten veröffentlicht.
Tanja Schillmaier ist Autorin und systemische Coachin mit einer Leidenschaft für hilfreiche psychologische Methoden, die sie in ihren Büchern mit tiefen persönlichen Einsichten kombiniert. Sie unterstützt ihre Leser darin, Herausforderungen des Alltags zu meistern, indem sie komplexe Themen auf verständliche Weise vermittelt und Werkzeuge zur Selbstreflexion bietet. Mit ihrer eigenen wachsenden Powerquickie-Buchreihe und weiteren Ratgebern, wie dem Buch ‚Zuckerteufel – Glücklich leben trotz ADHS‘, schafft sie inspirierende Ressourcen für Menschen, die Probleme zu bewältigen haben und nach mehr Leichtigkeit und Balance suchen.