Als kleinen Gegenpol zu meinem kürzlich erschienenem Artikel ➡ „Soziale Kontakte und Einsamkeit“ im Lifestyle-Ratgeber, in dem es um den Fokus Einsamkeit ging, habe ich mich heute entschieden, das Dasein der sogenannten Eremiten zu beleuchten. Für besagten Artikel wurde ich gefragt, ob ich zu diesem Thema einen schreiben und die darin behandelten Fragen beantworten würde. Das passte prima, weil Einsamkeit für sehr viele Menschen insbesondere zur Weihnachtszeit eine echte Belastung ist und ich selbst schon häufig darüber geschrieben hatte.

Doch seit einigen Tagen schwirrte in mir der Drang, auch über einen häufig missverstandenem Charaktertyp zu schreiben. Das sind die Eremiten.

Eremiten als Grummelschublade

Gemeinhin gilt das Bild des grantigen menschenverachtenden Waldschrats, der von der äußeren Welt zurückgezogen in seiner Hütte lebt. Doch das trifft selten zu. Die moderne Version hat sich schließlich einem Leben im und am Computer (oder anderen Hobbies) verschrieben und hasst lediglich andere Menschen. Oder? Das sehen wir uns gleich an.

Natürlich gibt es auch Fälle, die sich aufgrund unangenehmer Lebensentwicklungen dazu entschieden haben, sich von den Menschen abzuwenden. Bei diesen wäre es interessant, sich die jeweilige Ausprägung des Lebensmotivs Beziehungen anzusehen. Wer es hoch ausgeprägt hat, wird (und sollte) es nicht lange allein aushalten. Solch einem Lebensabschnittseremiten könnte es hilfreich sein, sich mit den verursachenden Auslösern auseinanderzusetzen, damit sie verarbeitet werden und menschliche Kontakte wieder zunehmen können.

Nun aber zu den „echten“ Eremiten:

Eremiten am Rande sozialer Bedürfnisse

Die erste Frage, die sich mir stellte war, ab wann jemand zu den Eremiten gezählt wird? Jeder Mensch lebt in verschiedenen sozialen Gruppen. Während ihn die eine Gemeinschaft als Eremit wahrnehmen kann, könnte er in einer anderen sehr aktiv sein.

Nachfolgend drei Situationsbeispiele:

Eremiten in der Arbeit:

Da kann beispielsweise in einem Arbeitsteam eine Kollegin als Eremitin betrachtet und entsprechend ausgegrenzt werden, weil sie sich den freundschaftlichen und auch privat geprägten Teamgewohnheiten nicht anschließt.

In solchen Fällen wird ihre aufgrund ihres Typus handelnde Zurückgezogenheit gern persönlich genommen und manchmal gar mit Feindschaft beantwortet. Dann führt ihre vielleicht sogar unbewusste Art ihres „Soseins“ immer wieder in Abweisungsspiralen, die sie als Eremitin zwar verursacht, jedoch keinesfalls beabsichtigt. Im Gegenteil, könnte sie an den unzähligen Nähe- und Distanzrätseln ihres Lebens stark zu knabbern haben.

Es gibt auch „Teilzeit-Eremiten“. Gelegentlich kommt das bei solchen vor, die beruflich mit sehr vielen Menschen und Gesprächen zu tun haben (Servicekräfte, therapeutisch Arbeitende, medizinisches Personal, Lehrer und Referenten). Diese können gleichermaßen andere Menschen und trotzdem ihre eigenen Rückzüge lieben. Da dient der Rückzug im Privatleben dann lediglich dem Energieausgleich und Ruhe fürs eigene Entspannungssystem.

Eremit in der guten Nachbarschaft

Die meisten Menschen erinnern sich an Buch- oder Filmszenen, bei denen jemand sozial ausgegrenzt wird. Der Klassiker ist eine fröhlich lachende Gruppe, bei denen sich die betreffende Person traurig zurückzieht. Nicht verstehend, warum sie nicht Teil der Party sein darf. Möglicherweise darüber rätselnd, was sie denn eigentlich falsch gemacht hat.

Werden Eremiten dann doch einmal eingeladen, kann es sein, dass sie absolut überfordert sind und häufig im letzten Moment absagen. Oder sich fühlen wie Elefanten im Sozialladen. Nicht alle, aber viele Eremiten haben eine frühkindliche Prägung von ebenso wenig sozial aktiven Eltern. Dies bedeutet, dass sie im Gegensatz zum klassischen Partygänger keine Erfahrung in der Begegnung mit anderen Menschen haben. In solchen Situationen werden sie immer wieder auf das zurückgeworfen, was ihnen fehlt: die Erfahrung in und mit sozialen Gruppen.

Besonders schlimm erleben dies oben erwähnte Lebensabschnitts-Eremiten mit hohen sozialen Bedürfnissen. Doch auch für die echten Rückzügler können solche Momente als sehr schmerzvoll wahrgenommen werden. Denn nicht dazu zu gehören, bedeutet für das menschliche Gehirn echten Schmerz. Evolutionär sind Menschen auf Gruppenzugehörigkeit ausgelegt. Wie diese ausgelebt wird, ist dann die Individualfrage. 

Schüchterne Arroganz

Eine schon kindlich zu geringe Übung und damit Prägung im Bewegen sozialer Gruppen, hat Eremiten möglicherweise schüchtern werden (bleiben) lassen. Dies kann auch auf ansonsten offene und herzliche Menschen zutreffen, die lediglich in fremden Umgebungen oder neuen Gruppen wieder auf ihre kindlichen Lernmuster zurückfallen. Da sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen (einige haben vielleicht sogar permanent die Stimmen einer strengen Erziehung mit zahlreichen „to behaviors“, „tu dies, tu das“, „sei ruhig, was würden denn sonst die Leute denken“ in sich klingen), wirken sie von außen häufig arrogant.

Wagen sie es endlich einmal einen Witz zu machen, reagiert entweder niemand oder alle stehen mit offenem Mund schweigend da und zeigen eindrucksvoll, dass der soziale Elefant auf ganzer Linie nicht verstanden wird.

Damit bleiben Eremiten oft in Dauerschleifen aus Abwehr und Ausgrenzung gefangen, obwohl sie ebenso meist nette Menschen sind, die sich häufig für ihre Mitmenschen interessieren würden. 

Dass sie sich weitgehend zurückziehen ist manchmal die gegenpolige Mischung der Komponenten „gern allein“ und „schon wieder übersehen“.

Gern und glücklich allein

Abgesehen von den sozialen Achterbahnen sind echte Eremiten aber gern allein und brauchen Zeit für sich, um glücklich zu sein.

Dies ist absolut nicht gleichbedeutend mit der Liebe zu und dem Interesse an ihren Mitmenschen. Selbstverständlich kommt es bei jedem Einzelfall auf viele weitere Aspekte und Ausprägungen ihrer anderen Lebensmotive an. Denn auch Eremiten können zahlreiche Freundschaften haben. Sie pflegen sie lediglich auf andere Weise. Von den zeitintensiven Aufgaben möglicher Elternschaft abgesehen, bemerken sie oftmals nicht gar so schnell, dass seit dem letzten Kontakt zu ihren Freunden oder Familie schon wieder ein paar Monate lagen. Fälschlicherweise wird ihnen das häufig als mangelndes Interesse interpretiert.

Wenn dann noch eine Kindheit mit Stör-Erfahrung, außerdem die Stressverarbeitungs-Modis „Flucht“ oder „Totstellen“ und das Lebensmotiv „Anerkennung“ hinzu kommen, kann es sein, dass manche Eremiten sich deshalb selten bis nie melden, weil sie niemanden stören wollen. Auch dieses Verhalten wird häufig missverstanden.

Fazit: Eremiten sind keine grantigen Eigenbrödler, sondern Ergebnis und Gefangene ihres bisherigen Lebens. Wenn sie sich zurückziehen, hat es fast immer mit ihnen selbst zu tun. Aber keinesfalls, weil sie sich für etwas Besseres halten! Dass so viel Zeit vergeht, bis sie sich mal von selbst melden oder an Angeboten ihrer Umgebung teilnehmen, liegt an all dem.

Außerdem hat ihr Leben sie meist gelehrt, sich gut mit sich selbst beschäftigen zu können. Der „echte“ Eremit kennt daher selten Langeweile und merkt, permanent gut mit seinen Hobbies versorgt, überhaupt nicht, wie die reale Zeit im Außen vergeht.

Tipps für Freunde und Führungskräfte von Eremiten

Freunde und ansonsten an Eremiten interessierte Menschen sollten akzeptieren können, dass deren Zeitwahrnehmung eine andere ist und die jeweiligen Rückzugsgründe trotzdem vielseitig sind. Dies sollte sich das Umfeld nicht zu Herzen nehmen oder sich gar abgewiesen fühlen. Meist empfinden sich Eremiten gar nicht bewusst als zurückgezogen.

Am Besten das Gespräch suchen, um herauszufinden, ob sich der Eremit und die Eremitin aus Wunsch oder Rückweisungsgewohnheiten rarmacht.

Auf keinen Fall ausgrenzen! Bloß weil Eremiten nicht auf allen Hochzeiten tanzen (können), bedeutet es nicht, dass sie kein Teil der Gruppe (Team, Clique, Nachbarschaft) sein und nicht gefragt werden möchten.

Eremiten nicht anhand der Häufigkeit ihrer Präsenz einordnen, sondern andere Stärken in Betracht ziehen und im Zweifel gezielt suchen.

Führungskräfte sollten Eremiten gezielt auf ihre Hintergründe ansprechen, um deren Bedürfnisausprägungen zu erfassen. Außerdem ein Auge für ein förderliches Teamklima haben. Insbesondere jene Vorgesetzte, Kollegen (und Partner) mit eigens stark ausgeprägten Beziehungsmustern und besonders aktiven Gruppenerwartungen.

Partner von Eremiten

Solltest Du Partner*in eines Eremiten sein und selbst sozial aktiv sein, ist besonders wichtig, Euch Eurer Unterschiede nicht in Form eines Fehlers des Anderen zu vergegenwärtigen, sondern als Eigenschaft und Bedürfnis. Allein diese Unterscheidung kann bei konfliktären Beziehungen den entscheidenden Unterschied ausmachen. Nämlich völlig weg von der Erwartung, wie unser Gegenüber denn sein müsste und sollte, hin zu der Frage, wer er oder sie ist und was unser Liebling jeweils bräuchte, um glücklich zu sein. Dieselbe Frage selbstverständlich auch für Dich selbst. Wer miteinander auf dieser Grundlage umgeht, findet für beide Seiten annehmbare Lösungen und hat verstanden, was bedingungsloses Lieben bedeutet. Es ist die erwartungsfreie Annahme und Wertschätzung des Partners.

Übrigens gibt es auch verpaarte Eremiten. Das sind jene, die zwar gern zurückgezogen leben, aber durchaus eine gute Zweisamkeit genießen. Solche Paare hören im Freundeskreis dann manchmal Vorwürfe, weil sie ganz in ihrer Beziehung aufgehen. Zwar gibt es ungesunde Aufopferungsbeispiele (doch selbst hier finden sich meist Topf und Deckel in einem eigenen Erfahrungsherzen). Aber häufig fühlen sich solche Paare schlichtweg „endlich Zuhause angekommen“. Sie brauchen niemand anderen, um glücklich zu sein.

Wobei „Liebe brauchen“ selten ins Glück führt. Allein hierüber ließe sich ein eigener Artikel schreiben :-). 

Tipps für Eremiten

Wenn Du Dich von meinen Schilderungen als betroffene/r Eremit*in fühlst, kommt es wie in allem auch auf Deine Details an, die ein allgemeiner Artikel nie ganz genau treffen kann.

Genau das ist aber auch schon das Allerwichtigste. Viele haben oben erwähnte Konflikte und Schwierigkeiten oder Hemmnisse, ohne sich jemals dieser Eigenschaft an sich bewusst gewesen zu sein. Wer das für sich erkannt hat, kann sich ganz gezielt mit den dahinterliegenden Bedürfnissen auseinandersetzen.

  • Was brauchst Du, um Zurückgezogenheit genießen zu können?
  • Verhältst Du Dich in manchen Lebensrollen anders und falls ja, woran könnte das liegen?
  • Weiß Dein Umfeld von speziell dieser Deiner Eigenschaft? Kommuniziere das ruhig offen (oder teile/verschicke diesen Artikel), damit die Dir wichtigen Menschen das weniger persönlich nehmen.

Falls Du Dich in einer Partnerschaft mit unterschiedlichen Ausprägungen befindest, ist Kommunikation und gegenseitiges Verständnis besonders wichtig. Derjenige mit höherem Sozialbedürfnis sollte ebenso seine Kontakte ausleben können, wie der Rückzugscharakter seine Ruhephasen genießen. Keinesfalls passt hier das Wort Egoismus, weder für die eine noch für die andere Seite.

Sollte der „soziale Elefant“ auf Dich zutreffen, könntest Du Dir bewusst machen, dass zu einer gut funktionierenden sozialen Gruppe IMMER verschiedene Attribute, Rollen und deren Stärken gehören. Stell‘ Dir vor, eine ganze Party bestünde aus glänzenden Alleinunterhaltern. Was würde passieren? Jeder würde sich sprichwörtlich alleine unterhalten.

Es gibt Stimmen die behaupten, dass in einem effektiv funktionierendem Arbeitsteam, die Archetypen aller 12 Sternzeichen vorhanden (und gewürdigt!) sein sollten. Also auch Du! Dies trifft gleichermaßen auf alle Persönlichkeitsmodelle zu. Unsere Welt ist deshalb bunt, weil wir unterschiedliche Fähigkeiten haben. Sonst würde sie als solches nicht existieren können. 

Welche Deiner Eigenschaften sind in Deinen sozialen Gruppen also möglicherweise das ganz Besondere?

Niemand von uns ist nur „muh“ oder „mäh“

Wer bist Du außer dem Eremitentum noch? Wann fühlst Du Dich besonders kraftvoll, sicher und glücklich?

Kennst Du erfolgreiche Buchautoren, die mit teilweise dutzenden Werken Menschenherzen begeistern? Wie kommen solche Ergebnisse zustande? Sind sie nicht gleichermaßen bedeutsam wie die direkten Verbinder und überall ehrenamtlich Aktiven der sozial gültigen Welt?

Lasst Euch eines gesagt sein: Niemand ist besser oder schlechter als jemand anderes. Je mehr Menschen sich selbst annehmen und heilen, desto weniger greifen andere an. Die sprachliche Doppeldeutigkeit passt hervorragend 😃.

Glaubst Du schon an Dich oder sollen es noch andere tun? Wenn Letzteres zutrifft, könnte eine Persönlichkeitsanalyse viel Licht ins Herz bringen. Auch ein persönliches Coachingprogramm öffnet zahlreiche neue Erfahrungstüren.

Ich freue mich über Kommentare und Empfehlungen und wünsche all meinen Lesern und Kunden zauberhafte Weihnachten ❤❤.

Tanja Schillmaier

Über falsch verstandene Eremiten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert